mutterseelenallein

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mutterseelenallein (Deutsch)

Positiv Komparativ Superlativ
mutterseelenallein
Alle weiteren Formen: Flexion:mutterseelenallein

Anmerkung zur Konnotation:

Auf Personen bezogen kann der Ausdruck „einen Menschen, der in totaler existentieller Einsamkeit und psychischer Verlassenheit steht, auch wenn er von einem Schwarm Menschen umgeben ist; und der unausweichlich verlassen bleibt auch dann, wenn er es nicht möchte, weil er trotz redlichen Bemühens keinen Kontakt mit seinen Mitmenschen zu finden vermag; also einen psychischen Habitus“[1] bezeichnen (siehe den ersten zitierten Beispielsatz).

Anmerkung zur Steigerbarkeit:

Das Wort ist vereinzelt auch im Komparativ belegt:
Thom Yorkes Texte haben 1997, als das World Wide Web anfing, mehr als bloß eine utopische Nerdkommune zu werden, die richtigen Extrapolationen vollzogen und damals schon angedeutet, was das Jahr 2017 heute ausmacht: der Fitnesswahn, die sozialen Normen und die Einsamkeit vor dem Computerschirm, das Gefühl, mit allen und jedem verbunden - und doch mutterseelenalleiner als je zuvor zu sein.“[2]

Nebenformen:

umgangssprachlich: mutterseelenalleine
veraltet: mutterseelallein

Worttrennung:

mut·ter·see·len·al·lein, keine Steigerung

Aussprache:

IPA: ,[3][4] ,[4] [5]
Hörbeispiele: Lautsprecherbild mutterseelenallein (Info)
Reime: -aɪ̯n

Bedeutungen:

zumeist prädikativ; emotional: ganz und gar allein, sehr einsam, völlig vereinsamt; ganz verlassen

Herkunft:

Das Wort ist seit dem 18. Jahrhundert bezeugt.[6][7][8] Über seine Herkunft gibt es mehrere Erklärungsversuche:
1. Älteren Quellen zufolge soll es sich um eine Entlehnung aus dem französischen moi tout seul handeln.[9] Diese Herleitung wurde von Heisig als „ad hoc fabrizierte pseudofranzösische Wendung, die dem tatsächlichen Sprachgebrauch zuwiderläuft“ abgelehnt, da im Französischen tout seul → fr „aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe“ bedeutet.[10] Es sei ebenso unschlüssig, weshalb ausgerechnet die Form der ersten Person Singular (moi → fr) auf die übrigen Personen übertragen worden sein solle.[10]
2. Des Weiteren wurde vermutet, es handele sich um eine „Verſtümmelung aus ‚mit der Seele allein‘“.[9]
3. Auch wurde versucht, das Wort als „‚allein wie in der Mutter‘, d. h. ‚im Mutterleibe‘“ zu deuten.[9] Um diesem Deutungsversuch mehr Gewicht zu verleihen, verwies man auf eine Stelle in Goethes Gedicht „Der neue Amadis“, in dem dieser den Ausdruck „allein wie im Mutterleib“ verwendet:[9]
„Als ich noch ein Knabe war,
Sperrte man mich ein.
Und ſo ſaß ich manches Jahr
Ueber mir allein,
Wie im Mutterleib.“[11]
4. In älteren Quellen wurde ferner vermutet, bei -seelen- handele es sich um eine Verstümmelung von selig.[9] Somit lasse sich das Wort mutterseelenallein deuten als „verwaiſt nach dem Tode der Mutter, verlaſſen ſelbſt durch die verſtorbene, ſelige Mutter“.[9]
5. An der vorhergehenden anschließend gesellt sich eine ganz ähnliche Deutung: „ſo allein, ſo einſam und verlaſſen, wie ſich ein Mutterherz fühlt, wenn ihm das Liebſte, das Kind, genommen iſt“.[9]
6. Weise führt das Wort auf den mittelhochdeutschen Ausdruck muoters eine → gmh ‚ganz allein, von der Mutter verlassen‘ zurück.[12]
7. Nach moderner Ansicht geht man von dem älteren neuhochdeutschen Ausdruck Mutterseele[6][13]Mensch;[7] Mutter[13]‘ (vergleiche keine Menschenseele)[13] aus, sodass mutterseelenallein offenbar als ‚menschenallein,[7] von allen Menschen verlassen;[7] selbst von der eigenen Mutter verlassen,[14] mutterlos,[6] allein[6]‘ zu verstehen ist.

Synonyme:

allein auf weiter Flur
regional: mausmuttersternallein,[9] mutterallein,[9][6] muttermenschenallein,[9] mutterseligallein,[9][6] muttersteinallein,[9] mutterwindallein,[9] steinbeinmutterseligallein,[9] steinsmutterallein[9]
veraltet: mutternackt, seelenallein

Sinnverwandte Wörter:

abgeschieden, einsam, einsiedlerisch, eremitenhaft, eremitisch, für sich, isoliert, kontaktlos, vereinsamt, verlassen, weltabgeschieden, weltabgewandt, zurückgezogen

Oberbegriffe:

allein

Beispiele:

Er hatte sich verlaufen und fühlte sich mutterseelenallein.
„Manchmal ist das so - man hat sich gerade noch geküßt wie verrückt (natürlich hat er mich schon geküßt), und plötzlich sitzt man in dem kleinen Wagen nebeneinander, ganz dicht, und ist doch so mutterseelenallein.[15]
„Seit dem Morgengrauen bin ich durch eure Gassen geschlendert. Mutterseelenallein. Alle Läden herunter, jede Tür zu.“[16]
„Aber was machen Sie hier so mutterseelenallein auf der Landstraße?“[17]
„Sabeth nochmals auf der Mole draußen, sie steht jetzt, unsere tote Tochter, und singt, ihre Hände wieder in den Hosentaschen, sie glaubt sich mutterseelenallein und singt, aber unhörbar - Ende der Spule.“[18]
„Wohin ich in meiner Gier nach Kontakten und Menschen in meiner gottlosen und mutterseelenalleinen Einsamkeit auch vordringe, ich entdecke immer nur Metamorphosen der Werbung und Geldgier.“[19]
„Ich hatte damals unter den Studenten einen Übersetzungspartner gesucht, der für mich als Verlobte infrage kam und mir nicht plötzlich einen Kuss auf die Backe drücken würde, wenn wir stundenlang mutterseelenallein abends in einem der großen, leeren Hörsäle saßen.“[20]

Übersetzungen

Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache „mutterseelenallein
Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch – elexiko „mutterseelenallein
The Free Dictionary „mutterseelenallein
Duden online „mutterseelenallein
Großes Wörterbuch der deutschen Sprache „mutterseelenallein“ auf wissen.de
Uni Leipzig: Wortschatz-Portalmutterseelenallein
Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961 „mutterseelenallein
Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. In zehn Bänden. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. 6. Band Lein–Peko, Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1999, ISBN 3-411-04793-3, DNB 965409120, Stichwort »mutterseelenallein«, Seite 2668.
Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. In: Digitale Bibliothek. 1. Auflage. 36, Directmedia Publishing, Berlin 2006, ISBN 3-89853-436-7, Stichwort »mutterseelenallein«.
Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Die deutsche Rechtschreibung. In: Der Duden in zwölf Bänden. 25. Auflage. Band 1, Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2009, ISBN 978-3-411-04015-5 (CD-ROM-Ausgabe), Stichwort »mutterseelenallein«.
Renate Wahrig-Burfeind: Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch. Mit einem Lexikon der Sprachlehre. In: Digitale Bibliothek. 9., vollständig neu bearbeitete und aktualisierte Auflage. wissenmedia in der inmedia ONE GmbH, Gütersloh/München 2012, ISBN 978-3-577-07595-4 (CD-ROM-Ausgabe), Stichwort »mutterseelenallein«.
Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Deutsches Universalwörterbuch. Das umfassende Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 8., überarbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-411-05508-1, Stichwort »mutterseelenallein«, Seite 1235.

Quellen:

  1. Karl Heisig: Mutterseelenallein. In: Zeitschrift für Mundartforschung. 34. Jahrgang, Heft 3/4, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden et al. Dezember 1967, ISSN 0932-3988, Seite 291.
  2. Jeff Schinker: „Fitter, happier“. In: Luxemburger Tageblatt. 17. Juni 2017.
  3. Stefan Kleiner, Ralf Knöbl und Dudenredaktion: Duden Aussprachewörterbuch. In: Der Duden in zwölf Bänden. 7., komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage. Band 6, Dudenverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-411-04067-4, DNB 1070833770, Stichwort »mutterseelenallein«, Seite 619.
  4. 4,0 4,1 Nach Eva-Maria Krech, Eberhard Stock, Ursula Hirschfeld, Lutz Christian Anders et al.: Deutsches Aussprachewörterbuch. Mit Beiträgen von Walter Haas, Ingrid Hove, Peter Wiesinger. 1. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2009, ISBN 978-3-11-018202-6, DNB 999593021, Stichwort »mutterseelenallein«, Seite 763.
  5. Max Mangold und Dudenredaktion: Duden Aussprachewörterbuch. In: Der Duden in zwölf Bänden. 6. Auflage. Band 6, Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2005, ISBN 978-3-411-04066-7, DNB 975190849, Stichwort »mutterseelenallein«, Seite 570.
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 6,5 Friedrich Kluge, bearbeitet von Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, ISBN 978-3-11-017473-1, DNB 965096742, Stichwort »mutterseelenallein«, Seite 640.
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. In: Der Duden in zwölf Bänden. 5., neu bearbeitete Auflage. Band 7, Dudenverlag, Berlin/Mannheim/Zürich 2013, ISBN 978-3-411-04075-9, Stichwort »mutterseelenallein«, Seite 580.
  8. Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. In: Digitale Bibliothek. 1. Auflage. 36, Directmedia Publishing, Berlin 2006, ISBN 3-89853-436-7, Stichwort »mutterseelenallein«.
  9. 9,00 9,01 9,02 9,03 9,04 9,05 9,06 9,07 9,08 9,09 9,10 9,11 9,12 9,13 9,14 D. Weiſe: Worterklärungen. In: Zeitſchrift für deutſche Wortforſchung. Heft 3, 1902, Stichpunkt »4. Mutterſeelenallein«, Seite 247 (Zitiert nach Internet Archive).
  10. 10,0 10,1 Karl Heisig: Mutterseelenallein. In: Zeitschrift für Mundartforschung. 34. Jahrgang, Heft 3/4, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden et al. Dezember 1967, ISSN 0932-3988, Seite 290.
  11. Johann Wolfgang von Goethe: Der neue Amadis. In: Johann Georg Jacobi (Herausgeber): Iris. Vierteljahresſchrift fuͤr Frauenzimmer. Zweyter Band, 1775, Seite 78 (Zitiert nach Digitalisat der UB Bielefeld).
  12. D. Weiſe: Worterklärungen. In: Zeitſchrift für deutſche Wortforſchung. Heft 3, 1902, Stichpunkt »4. Mutterſeelenallein«, Seite 248–249 (Zitiert nach Internet Archive).
  13. 13,0 13,1 13,2 Wahrig Herkunftswörterbuch „mutterseelenallein“ auf wissen.de
  14. Karl Heisig: Mutterseelenallein. In: Zeitschrift für Mundartforschung. 34. Jahrgang, Heft 3/4, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden et al. Dezember 1967, ISSN 0932-3988, Seite 292.
  15. Vicky Baum: Leben ohne Geheimnis. Ullstein Verlag, Berlin 1960, Seite 80.
  16. Max Frisch: Andorra. Stück in zwölf Bildern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1961, Seite 89–90 (Zitiert nach Google Books).
  17. Hans Fallada: Junger Herr – ganz groß. Roman. Ullstein Verlag, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1965, Seite 17.
  18. Max Frisch: Homo faber. Ein Bericht. 161.–180. Tausend , Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966, Seite 238 (Erstausgabe 1957).
  19. Sehnsucht nach Physischem. In: FALTER. 7. November 2007, ISSN 1605-671X, Seite 79.
  20. Uta Ranke-Heinemann: Mein Leben mit Benedikt. In: Zeit Online. 13. Februar 2013, ISSN 0044-2070 (URL, abgerufen am 20. September 2014).