Sauregurkenzeit

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Sauregurkenzeit (Deutsch)

Singular Plural
Nominativ die Sauregurkenzeit die Sauregurkenzeiten
Genitiv der Sauregurkenzeit der Sauregurkenzeiten
Dativ der Sauregurkenzeit den Sauregurkenzeiten
Akkusativ die Sauregurkenzeit die Sauregurkenzeiten

Alternative Schreibweisen:

Saure-Gurken-Zeit

Worttrennung:

Sau·re·gur·ken·zeit, Plural: Sau·re·gur·ken·zei·ten

Aussprache:

IPA: ,
Hörbeispiele: Lautsprecherbild Sauregurkenzeit (Info), Lautsprecherbild Sauregurkenzeit (Info)

Bedeutungen:

umgangssprachlich scherzhaft: Zeit im Sommer, besonders in der hochsommerlichen Urlaubszeit, in der (saisonbedingt) keine rege geschäftliche, politische, kulturelle oder ähnliche Aktivität herrscht und es deshalb besonders der Presse an wichtigen, berichtenswerten Ereignissen mangelt

Herkunft:

Das Wort, mit dem eigentlich ‚die zeit des juli und august, in der die gurken reifen und eingelegt werden‘[1] bezeichnet wurde[2], ist im (späten[3]) 18. Jahrhundert[2][4] aufgekommen und verbreitet sich zunächst unter Berliner Kaufleuten[2][5][4], die mit dem Wort ‚die Zeit des Hochsommers, in der die Gurken reifen und eingelegt werden, in der Ferien sind und der Geschäftsbetrieb nicht allzu groß ist‘[5], den ‚geruhsamen Geschäftsgang während des Sommers‘[2] sowie allgemein ‚Zeiten , in denen die Lebensmittel spärlich sind‘ beschreiben (vergleiche Parallelbildungen wie englisch cucumbertime → en sowie season of the very smallest potatoes → en)[4]. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitet sich das Wort als Ausdruck der Tagespresse für die ‚ereignis- und stoffarme Zeit der Hundstage‘ und verallgemeinert sich sodann zur Bezeichnung einer ereignislosen Zeit.[2] So schreibt der Musiker Carl Friedrich Zelter an Goethe in einem Brief vom 31. Juli 1821 aus Berlin bereits:[6]
„Unſer Theater iſt jetzt wieder lavierend, wie immer in der Sauregurkenzeit, und das alte große Operntheater wird repariert.“[7][6]
Ein paar Jahrzehnte später, am 7. Oktober 1854, vermeldete die in Dessau erschienene Zeitschrift Atlantis in einem Bericht aus London „Sauregurkenzeit in der Literatur“.[6] Der Kladderadatsch, ein Berliner humoristisch-satirisches Wochenblatt attestierte den Verlegenheitsberichten der Presse im Sommer 1856 einen „ſtarken Beigeſchmack der Saurengurkenzeit“[8].[9][6]
Kluge merkt allerdings an, dass im einzelnen das Benennungsmotiv des Wortes unklar bleibt und vermutet, dass sich der Ausdruck zunächst auf die Zeit im Spätsommer beziehe, in der die Spreewälder Bauern die frischen sauren Gurken auf den Markt brachten, und da dies zugleich Ferienzeit war, habe das Wort die andere Bedeutung bekommen.[4]
Diese Erklärung wird jedoch angezweifelt: So stellen einige Autoren heraus, dass der Ausdruck an sich aus dem Rotwelschen stamme[10][11][3][12][13], in dem die zóress und jókresszeit eine ‚Zeit der Leiden und der Teuerung‘[10][3][12][13] benennt. Die Bezeichnung gehe auf das Jiddische zurück[14][12][15][13], in dem die Wörter צרות‎ (YIVOtsores) → yi , die Pluralform von צרה‎ (YIVOtsore) → yi [16]Ärger[17], Misere[17], Leid[17], Not[12]‘ (vergleiche »Saures«, »jemandem Saures geben«, »Zores«) und יקרות‎ (YIVOyakres) → yi ‚(seasonal) dearth, scarcity[18] bedeuten. Diese wiederum entstammen den hebräischen Wörtern צָרָה‎ (CHA: ṣārā) → heNot[19][20][21] und יְקָרוֹת‎ (CHA: yeḳārōṯ) → he , der femininen Pluralform von יָקָר‎ (CHA: yāḳār) → heteuer[22][23][24]. Eine rotwelsche und jiddische Herkunft sei auch deshalb plausibel, weil „gerade Berlin eines der Einfallstore für rotwelsches und jiddisches Sprachgut in die deutsche Sprache gewesen“[25] ist.
In der »Sauregurkenzeit« sorgten sich die jüdischen Kaufleute also ursprünglich über Inflation und Preise.[12] Dass aus Leiden, Not und Teuerung am Ende saure Gurken wurden, sei ein klassischer Fall von Volksetymologie.[13] Und so könne es später gelegentlich passieren, dass das auf ihr beruhende Missverständnis in die Ursprungssprache zurückgelange, wie im vorliegenden Fall: im Hebräischen kennt man heute die עוֹנַת הַמְּלַפְפוֹנִים, עוֹנַת הַמְּלָפְפוֹנִים‎ (CHA: ʿōnaṯ ha-melafefōnīm, ʿōnaṯ ha-melāfefōnīm) → he [26] ‚Gurkensaison‘.[13]

Sinnverwandte Wörter:

Sommerflaute, Sommerloch

Oberbegriffe:

Zeit

Beispiele:

Während die Politiker ihren Sommerurlaub verleben, müssen die Journalisten jedes Jahr aufs Neue die Sauregurkenzeit hinter sich bringen.
„Jetzt sei ja Sauregurkenzeit, wenn er es jetzt nicht schaffe, Büsgen zu sprechen, in einem Monat sei es zu spät.“[27]
„Den vorigen Sommer gab es keine Sauregurkenzeit, und wie es scheint, gibt es diesmal wieder keine.“[28]
„In sommerlichen Sauregurkenzeiten, wenn wir uns am Anfang einer Woche telefonisch trafen und etwas Spannendes, Repräsentatives für die Sonntagsausgabe ausheckten.“[29]
„Ihm war, als könne »das alles« kein gutes Ende nehmen, als werde eine Katastrophe das Ende sein, eine Empörung der geduldigen Natur, ein Donnerwetter und aufräumender Sturmwind, der den Bann der Welt brechen, das Leben über den »toten Punkt« hinwegreißen und der »Sauregurkenzeit« einen schrecklichen Jüngsten Tag bereiten werde.“[30]
„Wir verstehen zwar nicht viel vom Pumpen und sind eher Spezialisten fürs Saugen, da wir uns in finsteren Sommerloch- und Sauregurkenzeiten unsere kleinen Geschichten selbst aus den Fingern saugen müssen.“[31]

Übersetzungen

Wikipedia-Artikel „Sauregurkenzeit
Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache „Sauregurkenzeit
Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch – elexiko „Sauregurkenzeit
The Free Dictionary „Sauregurkenzeit
Duden online „Saure-Gurken-Zeit, Sauregurkenzeit
Großes Wörterbuch der deutschen Sprache „Sauregurkenzeit“ auf wissen.de
PONS – Deutsche Rechtschreibung „Sauregurkenzeit
Uni Leipzig: Wortschatz-PortalSauregurkenzeit
Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961 „Sauregurkenzeit
Renate Wahrig-Burfeind: Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch. Mit einem Lexikon der Sprachlehre. In: Digitale Bibliothek. 9., vollständig neu bearbeitete und aktualisierte Auflage. wissenmedia in der inmedia ONE GmbH, Gütersloh/München 2012, ISBN 978-3-577-07595-4 (CD-ROM-Ausgabe), Stichwort »Sauregurkenzeit, auch: Saure-Gurken-Zeit«.
Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Deutsches Universalwörterbuch. Das umfassende Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 8., überarbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-411-05508-1, Stichwort »Saure-Gurken-Zeit, Sauregurkenzeit«, Seite 1509.

Quellen:

  1. Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961 „Sauregurkenzeit
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Wolfgang Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, digitalisierte und aufbereitete Ausgabe basierend auf der 2., im Akademie-Verlag 1993 erschienenen Auflage. Stichwort „Sauregurkenzeit
  3. 3,0 3,1 3,2 Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. In: Digitale Bibliothek. 1. Auflage. 36, Directmedia Publishing, Berlin 2006, ISBN 3-89853-436-7, Stichwort »Sauregurkenzeit«.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Friedrich Kluge, bearbeitet von Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, ISBN 978-3-11-017473-1, DNB 965096742, Stichwort »Sauregurkenzeit«, Seite 788.
  5. 5,0 5,1 Duden online „Saure-Gurken-Zeit, Sauregurkenzeit
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 Christoph Gutknecht: Gauner, Großkotz, kesse Lola. Deutsch-jiddische Wortgeschichten. be.bra verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-8393-2126-3, Seite ‹ohne Seitenangabe› (E-Book; zitiert nach Google Books).
  7. Im Auftrag des Goethe- und Schiller-Archivs nach den Handſchriften herausgegeben von Max Hecker (Herausgeber): Der Briefwechſel zwiſchen Goethe und Zelter. Zweiter Band: 1819–1827, Insel-Verlag, Leipzig 1915, Seite 121 (Zitiert nach Google Books).
  8. Briefkaſten. In: Kladderadatſch. Humoriſtiſch-ſatyriſches Wochenblatt. Nummer 38, 9. Jahrgang, 17. August 1856, Seite 151 (Digitalisat der Universitätsbibliothek Heidelberg).
  9. Christoph Gutknecht: Von Treppenwitz bis Sauregurkenzeit. Die verrücktesten Wörter im Deutschen. Verlag C.H. Beck oHG, München 2008, ISBN 978-3-406-56833-6 (Originalausgabe), Seite 195.
  10. 10,0 10,1 Salcia Landmann: Jiddisch. Abenteuer einer Sprache. 2. Auflage. dtv, München 1965, Seite 86.
  11. Günter Puchner (Herausgeber): Kundenschall. Das Gekasper der Kirschenpflücker im Winter. 1. Auflage. Heimeran, München 1974, ISBN 3-7765-0192-8, Seite 280.
  12. 12,0 12,1 12,2 12,3 12,4 Christoph Gutknecht: Von Treppenwitz bis Sauregurkenzeit. Die verrücktesten Wörter im Deutschen. Verlag C.H. Beck oHG, München 2008, ISBN 978-3-406-56833-6 (Originalausgabe), Seite 196.
  13. 13,0 13,1 13,2 13,3 13,4 Christoph Gutknecht: Gauner, Großkotz, kesse Lola. Deutsch-jiddische Wortgeschichten. be.bra verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-8393-2126-3, Seite ‹ohne Seitenangabe› (E-Book; zitiert nach Google Books).
  14. Siegmund A. Wolf: Deutsche Gaunersprache. Wörterbuch des Rotwelschen. 2. Auflage. Helmut Buske Verlag, Hamburg 1994, ISBN 3-87118-736-4, Seite 275 (Unveränderter Nachdruck).
  15. Andreas Nachama: Jiddisch im Berliner Jargon. 3. Auflage. Jaron Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-95552-190-5, Seite ‹ohne Seitenangabe› (E-Book; zitiert nach Google Books)
  16. Uriel Weinreich: מאָדערן ענגליש-ייִדיש ייִדיש-ענגליש װערטערבוך‎. Modern English-Yiddish Yiddish-English Dictionary. New paperback edition, Schocken Books, New York 1987, ISBN 0-8052-0575-6 (Lizenzausgabe des YIVO Institute for Jewish Research, New York 1968), Stichwort »צרה‎«, Seite 438 (jiddisch-englischer Teil).
  17. 17,0 17,1 17,2 Heidi Stern: Wörterbuch zum jiddischen Lehnwortschatz in den deutschen Dialekten. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2000 (Lexicographica: Series Maior ; 102, ISSN 0175-9264), ISBN 978-3-484-39102-4, DNB 959920579, Stichwort »Zores«, Seite 218.
  18. Uriel Weinreich: מאָדערן ענגליש-ייִדיש ייִדיש-ענגליש װערטערבוך‎. Modern English-Yiddish Yiddish-English Dictionary. New paperback edition, Schocken Books, New York 1987, ISBN 0-8052-0575-6 (Lizenzausgabe des YIVO Institute for Jewish Research, New York 1968), Stichwort »יקרות‎«, Seite 585 (jiddisch-englischer Teil).
  19. Ludwig Koehler ✝, Walter Baumgartner ✝; neu bearbeitet von Walter Baumgartner ✝ und Johann Jakob Stamm, unter Mitarbeit von Zeʾev Ben-Ḥayyim, Benedikt Hartmann, Philippe H. Reymond: Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament. 3. Auflage. Lieferung Ⅲ: גבט‎ – ראה‎, E.J. Brill, Leiden/New York/København/Köln 1983, ISBN 90-04-07022-2, Stichwort »צָרָה‎«, Seite 986.
  20. Jacob Levy; nebst Beiträgen von Prof. Dr. Heinrich Leberecht Fleischer: Neuhebräisches und Chaldäisches Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim. Band Ⅳ: פ‎ – ת‎, F. A. Brockhaus, Leipzig 1889, Stichwort »צָרָה‎«, Seite 217–218.
  21. Yaacov Lavi; neu bearbeitet von Ari Philipp, Kerstin Klingelhöfer: Langenscheidt Achiasaf Handwörterbuch Hebräisch–Deutsch. Völlige Neubearbeitung, Langenscheidt, Berlin/München/Wien/Zürich/New York 2004, ISBN 978-3-468-04161-7, DNB 96770877X, Stichwort »צָרָה‎«, Seite 489.
  22. Ludwig Koehler ✝, Walter Baumgartner ✝; neu bearbeitet von Walter Baumgartner ✝, unter Mitarbeit von Benedikt Hartmann, E. Y. Kutscher; Benedikt Hartmann, Philippe H. Reymond, Johann Jakob Stamm (Herausgeber): Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament. 3. Auflage. Lieferung Ⅱ: טַבָּח‎ – גבט‎, E.J. Brill, Leiden/New York/København/Köln 1974, ISBN 90-04-03919-8, Stichwort »יָקָר‎«, Seite 412.
  23. Jacob Levy; nebst Beiträgen von Prof. Dr. Heinrich Leberecht Fleischer: Neuhebräisches und Chaldäisches Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim. Band Ⅱ: ח‎ – ל‎, F. A. Brockhaus, Leipzig 1879, Stichwort »יָקָר‎«, Seite 261.
  24. Yaacov Lavi; neu bearbeitet von Ari Philipp, Kerstin Klingelhöfer: Langenscheidt Achiasaf Handwörterbuch Hebräisch–Deutsch. Völlige Neubearbeitung, Langenscheidt, Berlin/München/Wien/Zürich/New York 2004, ISBN 978-3-468-04161-7, DNB 96770877X, Stichwort »יָקָר‎«, Seite 222.
  25. Norbert Nail: Zores in der „Sauregurkenzeit“. In: Der Sprachdienst. Nummer 27, 1983, ISSN 0038-8459, Seite 105.
  26. Hebrew-English Dictionary „עוֹנַת הַמְּלָפְפוֹנִים
  27. Martin Walser: Ehen in Philippsburg. Roman. 1. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-37709-4, Seite 36.
  28. Hermann Löns: Tagesarbeit. Die Sonntagsplaudereien des Fritz von der Leine. In: Hans A. Neunzig (Herausgeber): Hermann Löns, Ausgewählte Werke. IV, Nymphenburger, München 1986, ISBN 3-485-00530-4, Seite 319–416, Zitat Seite 382.
  29. Dieter Strunz: Kritiker aus Liebe. In: Berliner Morgenpost Online. 14. August 2004, ISSN 0949-5126 (URL, abgerufen am 3. November 2016).
  30. Thomas Mann: Der Zauberberg. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-10-400300-9, Seite ‹ohne Seitenangabe› (E-Book; zitiert nach Google Books).
  31. dpa/taz: Saugen im Sommerloch. In: taz.die tageszeitung. Nummer 9844, 5. Juli 2012, ISSN 0931-9085, Seite 20 (taz Print-Archiv, abgerufen am 3. November 2016).